REDE ZUR VERNISSAGE IN DER EUROMED CLINIC NÜRNBERG

„KUNST UND KÖNNEN“

 

EuromedClinic Fürth, am 30. 11. 2003

Unter Verwendung von Textpassagen aus Heinrich Rombachs „Leben des Geistes“. Mehrere hundertausend Jahre hindurch lebte der Mensch in einer Seinsverfassung, die in bereits aus der Umwelt heraushob und zum Menschen machte – also „Geist besaß -‚ aber noch nicht den objektivierenden, den planenden und sich selbst wissenden Geist, sondern den Geist, der sich erst fand — und erfand, sich gleichsam spielend produzierte.

Wir wollen diese Grundform des schaffenden und sich selbst produzierenden Geistes das Können nennen. Können ist nicht dasselbe wie Machen. Können liegt nur in jenem Hervorbringen, in dem der Mensch mit dem Gestalteten zugleich sich selbst neu gestaltet. Damit wird Können — die Kunst — zur Grundform des Menschseins. In der Urzeit – und manchmal heute noch – erlebte der Mensch sein Können — aber auch seine Ohnmacht an den Urphänomenen der Natur: Sintflut — das Wasser. Erdbeben — die Erde. Verheerende Stürme — die Luft. Alles vernichtende Brände — das Feuer. Hier sind sie, die aristotelischen Grundelemente, in ihrem Wesen Gestalt verleihend und Gestalt vernichtend.

Aber das Feuer ist das Faszinosum schlechthin.

Das Auge wird nicht müde, das Spiel der Flammen zu verfolgen, den Kampf zwischen Glut und Dunkelheit, zwischen Licht und Materie, die sich auflöst in glühende Gase und Rauch. Dem Feuer kommt eine tiefe Bedeutung für die Selbstfindung und Selbsterfindung des Menschen zu. Vielleicht macht es die erste “Religion“ des Menschen aus. Den ersten Zentralpunkt. Nicht umsonst wird der Heilige Geist mit der Flamme in Verbindung gebracht. Die Formaussage des Feuers: Es wärmt und gibt Licht, es dient dem Kochen, Braten, Rösten, Räuchern, Härten, Roden, Jagen. Zugleich Waffe und Gefahr, hilfreicher Freund und grimmiger Feind.

Phänomenologie des Feuers

Das Feuer handhaben zu können gibt dem Mensch einen neuen Erfahrungsraum. Es zu bändigen und verfügbar zu machen, wo es gerade gebraucht wird, ohne dass es ausbricht: Im Herd zum Kochen, im Ofen zum Heizen, in der Esse zum Schmieden, das Brandzeichen auf der Flanke des Herdenviehs, Friedrich der Große und sein Tabakkollegium, Marlboro und der Geruch des Abenteuers bis heute… Es beherrscht die Lebenssphäre vom Mittelpunkt aus — Die Zentralheizung als moderner Ausdruck des archaischen Phänomens: Es ordnet alles auf sich zu, strukturiert das Umfeld kreisförmig, konzentrisch. Das Feuer — es verhält sich wie ein Lebewesen, welches ja streng genommen auch brennt. Atmung nichts anderes als kontrolliertes Verbrennen, oxidative Prozesse, halten es am Leben. Fettverbrennen, geradezu ein Topos der modernen Ernährungsmedizin. Das Feuer fängt klein an, wächst und braucht Nahrung, kann am Anfang leicht verlöschen, verglimmen, verrauchen, es braucht Pflege, um zu wachsen, bricht dann aber leicht aus und wird unkontrollierbar — es will gehütet sein. Es wächst über sich hinaus — verursacht selbst den Wind, den es zu seiner Anfachung braucht. Leicht entwickelt es dann die Allgewalt des Feuersturms, das Vernichtende. Die ältesten Mythen des Weltuntergangs — und die jederzeit gegenwärtigen Ängste — sind solche des Weltenbrandes. Der moderne Terror, welcher sich seine Ikone in den brennenden Twin-Towers geschaffen hat … Das Feuer ist Anfang und Ende. Ständiger Begleiter des Menschen. Was Wunder, dass er vom Feuer über sich selbst viel gelernt hat. Das Feuer ist von jeher Mittelpunkt der Versammlung, vom Lagerfeuer der Hirten bis zum Osterfeuer. Die zentrierende Kraft des Feuers ist der Ursprung des menschlichen Bewusstseins; zu diesem gehört seither Zentralisation und Konzentration. Seine Innerlichkeit hätte der Mensch nicht ausbilden können ohne das Feuer. Von einem Menschen, der etwas bewegt sagt man auch, er hat Feuer.

Thomas Girbl und das Feuer

Feuer hat auch Thomas Girbl. Wir sind uns im Sommer erstmals auf einer Berghütte in den Karawanken begegnet, die von seiner Mutter bewirtschaftet wird. Sofort ist da ein Funke übergesprungen, der Begeisterung entfacht hat. Feuer und Geist, das hatten wir doch gerade. Das Verbundensein mit den Elementen der Natur, wissend, dass man aus diesen Elementen lebt, wächst, Kraft bezieht, aber darin auch zerstört werden kann, das kommt nicht von ungefähr. Girbl bezieht seine Inspiration aus der Erfahrung in den Urgewalten der Natur. Die Buschbrände Australiens haben auch ihn entfesselt. Aber er hat sich nicht zerstören lassen, sondern das Feuer eingefangen, es künstlerisch domestiziert. Sein Pinsel ist die Flamme, seine Farben sind die Glut und die Asche, die aber auf wunderbare Weise — Phönixhaft — aufsteigen und höchst lebendig sich manifestieren: quasi am Abgrund. Dass seine Bilder nicht verbrennen — nur er kann uns sagen, wie viele vielleicht doch vom Feuer aufgezehrt wurden, seine Brandopfer an das Element — liegt an seinem Können, das Feuer so dosiert einzusetzen, dass daraus bleibende Gestalt wird, Objekte und Farben, die wir hier und heute bestaunen können, deren Wärme, deren Spiel aus Licht und Finsternis uns berührt. Ja, auch die Dunkelheit, als dem Kontrast des Feuers schlechthin, ist in seinen Bildern, und macht sie damit authentisch.

Ich will schließen mit einigen Sätzen des Wiener Philosophen Eugen Maria Schulak, der über die Brandmale von Thomas Girbl bewegte und bewegende Worte fand:

In Girbls Bildern wird Natur nicht bloß abgebildet, sondern eingefangen und dem Material aufgeprägt, eingebrannt. Die Form schaffende Kraft des Feuers ist in verbrannten Farbtönen stets sichtbar. Im Zentrum steht jedoch das warme, gelbe Licht der Flammen selbst. Alles wirkt erleuchtet, strahlt aus. Selbst aus der Tiefe dringt noch Licht hervor, macht die Komposition transparent und beleuchtet sie gleichsam von hinten. Hinzu gesellen sich die Farben der Elemente sowie horizontal und vertikal gezogene Bögen und Linien. Letztere wirken gebürstet, geschabt, drehen und verwinden sich, treffen aufeinander, kreuzen aneinander an zentralen Stellen, lösen sich auf und verlieren sich, oft jenseits des Bildrandes. Manchmal kehren sie auch wieder zurück, rücken ans Feuer, um sich zu wärmen.

Lassen wir uns von diesen schönen Bildern in dunkler Jahreszeit wärmen.

 

Dr. med. Michael N. Magin