DAS FEUER ALS GESTALTERISCHES MEDIUM IN DEN BILDERN VON THOMAS GIRBL

„DIE FEUERTAUFE - SPUREN DER ERINNERUNG"

 

Konzentriertes Licht als Korpuskel, Lichtquelle – oder als Welle im Raum – Feuersäule, Lichthorizont – und auch als Interferenzfelder sind in den Bildern von Thomas Girbl als aufeinander bezogene Elemente angelegt und in Farbe und Form sinnlich wahrnehmbar gemacht. Weiße Flächen in Kugelform, als senkrechte oder waagrechte Streifen bzw. Strichflächen symbolisieren die Anwesenheit hochpotenzierter Licht- = Feuerskraft. Das in der Stofflichkeit der Materie gebrochene Licht wird durch die sanfte Schönheit und Leuchtkraft des gesamten Farbspektrums veranschaulicht. Die Brandspuren als Erinnerungsreste an Umwandlung symbolisieren die stete Verwandlung, den Vorgang der permanenten Veränderung auf dieser Erde.

Das Feuer wird in der künstlerischen Arbeit von Thomas Girbl zum Scheidemittel: es greift die Substanz der malerischen Unterlage an, es scheidet und unterscheidet zwischen Unberührtem (= Ewigem) und zu Reinigendem (= Materiellem, Stofflichem). Es ermöglicht als Katalysator neues Leben: in den Bildern mittels Farbe angedeutet als neue Aspekte und Dimensionen von Ewigem. Feuer als Symbol für Geist, Licht, Kraft – und damit Leben – transformiert das sichtbar und unsichtbar stofflich Vorhandene und schafft im Reinigungsprozess die Möglichkeit für Neuwerdung, symbolisiert durch Schönheit und farbliche Harmonie.

Die Spuren der Feuertaufe sind als dahinterliegendes Prinzip des „Stirb und Werde“ zum zentralen Element des Erinnerns, der Rückbindung in den Wesenskern allen Lebens, geworden. Die Lichtquellen oder Lichtsäulen im Zentrum der Bilder und die farblich nuancierte Umgebung in Blau (= Wasser), in Rot- und Brauntönen (= Erde), welche ebenfalls immer die Kraft des Lichtes – farblich unterschiedlich gebrochen – widerspiegelt, sind deutbar als Erzählungen vom Fluss des Lebens schlechthin.

Beeindruckt haben Thomas Girbl auf seinen Reisen die Buschbrände in Australien ebenso wie die symbolhaften Farben in der rituellen Kunst Indiens. Beides ist in sein künstlerisches Schaffen eingeflossen. Alle Arbeiten sind geprägt von den kraftvollen Spuren des Feuers, die den männlichen Aspekt symbolisieren, und einer sanften Farbigkeit als dem weiblichen Aspekt. Die Bilder lassen dem Betrachter viel Raum für das Erspüren einer inneren Empfindung gleichwie für die Entdeckung von stets neu und anders sich darstellenden Bildfigurationen.

Gravierende Ereignisse im Leben hinterlassen stets Spuren. Eingeschrieben als Stationen auf dem Lebensweg sind sie Zeugen – Zeichen mit Signifikanzcharakter – am Übergang zu Neuem. Die Arbeiten von Thomas Girbl vermitteln in ihrer Reduziertheit eine tiefe Empfindung vom Geheimnis des Schöpfungsmythos dieser Erde, der sich überall und in jedem Augenblick als Prinzip von Leben in der Natur und im Menschen sichtbar und auch unsichtbar wieder und wieder vollzieht.

 

Dr. Renate Obud – Kunsthistorikerin

 

 

„SELIGE SEHNSUCHT“

„Sag es niemand, nur den Weisen,

weil die Menge frech verhöhnet,

das Lebendige will ich preisen,

das von Flammentod sich nähret …“

J. W. Goethe