„TAGEBUCH, SAGE MIR: WAS KANN UNS RETTEN?"
Wenn der Leib einer Schlange, einer mächtigen, sich hinstreckt, dicht neben dem unseren, sich aufbäumt, dreht, niedersinkt, und uns – mein Gott – sogar berührt, langsam und ekelhaft uns durch und durch anwidert wie ein fauliges Stück, so dass es eng wird ums Herz, es uns beutelt, – und alles nachts im Dunkeln (und nicht nur einmal, mehrmals), so frage ich dich, Tagebuch: Was kann uns retten? Was hilft, diesen Alptraum zu überstehen, diesen Anblick im Rückblick auch am Tag zu verkraften? Was trocknet die schweißnasse Brust, bannt all das Gift und den üblen Dunst, der dann bleibt und nicht, leider nicht von selbst vergeht? Du pochst auf die Vernunft. Was willst du damit bezwecken? Ist es nicht ganz gleich, dass dies schreckliche Erleben im Grunde nur eine Illusion sein kann, ist es nicht wirklich ganz gleich angesichts der Tatsache, dass es genau so war?
Am nächsten Morgen frage ich dich dann: Sind wir Menschen nicht alle Geschöpfe Gottes? Sag: Ja oder nein!? — Du sagst: Ja, – ja wir sind. Aber dann und wann werden wir eben auch verstoßen und bleiben verlassen, scheinbar grundlos. Deshalb suchen wir – ausgesetzt, obdachlos – Schutz und Unterschlupf bei den Mächten unserer Wahl. In der Not wenden wir uns an alle jene, die uns Versprechungen machen, etwas verheißen, in gutem Glauben und voll Vertrauen. Wir rufen sie an, nennen sie beim Namen, schließen sie in unsre Seufzer und Gebete ein: Maria hilf, Christus auf dem Leichentuch erbarme dich unser, Buddha lass uns von unsren üblen Träumen stets zur rechten Zeit erwachen und reinige unsren Geist. Verhilf uns zu einem dritten Auge, auf das wir sehen lernen und dann sehend alles an Weitblick übertreffen. Und mach uns ein freies Herz, weit und groß wie die Prärie.
Ich habe keine Angst mehr! — Wer kann das schon von sich behaupten? Währe einer, der solches von sich sagen könnte, uns nicht nahezu unheimlich, – aber doch wohl immerzu ein Vorbild? Hätten wir da nicht eine heilige Scheu? Könnten wir solchen Blicken standhalten ohne ausweichen zu müssen? Ich habe keine Angst mehr, sagt der große Unbekannte vom Stamm der Miccosukee – und schenkt uns ein erlösendes Lächeln, sendet Licht aus, spendet einfache Erkenntnis: Nimm das geflochtene Rad und banne auch du deine Träume. Im Netz der Spinne liegt Abwehr. Und sei eingedenk alter Weisheit: Der Weg zu hellstem Licht führt durch das tiefste Dunkel. Schmal ist der Pfad, der zum Ziel führt, groß die Gefahren, die dich von ihm abzuhalten drohen. Doch aller Gefahren größte bist du dir selbst. In deine Hand ist alles gegeben. So ist dies der erste Schritt auf dem Weg zur Stärke.
Es ist das Feuer, das bei Thomas Girbls Arbeiten den Ausschlag gibt. Selbst die Fotografien, die er in Form von Siebdrucken verwendet, wurden mit Hilfe des Feuers erst sichtbar. Girbls Collagen brannten im Zuge ihres Entstehens. Man sieht es ihnen deutlich an. Das Feuer durchleuchtet sie. Sichtbar wird es in der Vielfalt der Gelb-, Ocker- und Brauntöne, die uns das auf Leinen kaschierte Papier zeigt.
Thomas Girbls Ausstellung durchmisst einen Weg, einen Weg der Befreiung, von Tagebuchnummer 02.07.1970 bis zum dritten Auge des Schöpfergeistes. Es ist ein Rundgang im Uhrzeigersinn, von 1 bis 25. Auf den großen Formaten waltet der Ernst spiritueller Begegnungen, auf den kleinen überwiegt das Spiel mit Licht und Schatten, mit Farbe und Form. Die großen Formate zeigen Ikonen der religiösen Popkultur, die kleinen Schnitzarbeiten in Papier, umrahmt oder ergänzt von belichteten Gegenständen des Alltags.
Thomas Girbl ist ein Suchender. Den großen Unbekannten Stamm der Miccosukee hat er zu seinem persönlichen Schutz. Seite an Seite dokumentieren die beiden erlangte Freiheit, schenken uns ein Lächeln, wie wenn sie uns sagen wollten: In Dir, in Deinem Wesen, in Deinem Denken und Handeln, in Deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt. In Dir ist alles beschlossen. Da ist keine Stimme in ihr, die Du nicht Ohr hättest zu hören. Du selbst gibst keinen Laut, der nicht ein Echo fände. So ist dies der erste Schritt auf dem Weg zur Weisheit.
Prof. Dr. phil. Eugen Maria Schulak – Philosophische Praxis Wien
„BRANDMALE“
Das Handwerk und die Beherrschung des Feuers, diese ersten und grundlegenden Schritte auf dem Weg des Menschen, prägen auch die neuesten Arbeiten von Thomas Girbl, nachhaltig und entscheidend. Die Inspiration entzündete sich an den Buschbränden Australiens, an einer Leben zerstörenden und Leben wieder aufbauenden Naturgewalt im Rahmen einer sagenumwobenen, archaischen Welt.
Das Geheimnisvolle, das man den Buschmännern nachsagt, findet sich in anderer Form auch in Girbls Bildern. Wie es möglich war, das Feuer einzufangen, zu zähmen und schließlich zu Papier zu bringen, verrät uns der Maler nicht. Und das mit gutem Grund: Es ist sein ureigenes alchemistisches Wissen, das er sich erarbeitet hat, laufend verbessert und fortan hütet. Das Recht auf sein Geheimnis soll ihm niemand aberkennen.
Girbls Bilder brannten im Zuge ihres Entstehens. Man sieht es ihnen deutlich an. Es war exakt so viel Feuer, als nötig war, um dessen Wirkung sichtbar zu machen, um das ihm geopferte Material abzubrennen und dadurch abzubilden. Und es war exakt so viel Kontrolle, Dressur des Feuers, als nötig, um nicht alles zu verlieren – ein Balanceakt an der Kippe zur Zerstörung, eine kunstvolle Berechnung des Risikos, ein initiierter Kampf zwischen Material und Element, ein gekonntes Spiel mit Vernichtung und Aufbau. Freilich war auch Zufall im Spiel, zwar gesteuert, aber trotzdem wirksam. Ungeplantes wurde dann oft erst später, nach längerem Betrachten sichtbar.
Kein Zaudern war möglich. Auch bedurfte es höchster Konzentration: Der Künstler konnte sich nicht gehenlassen und das Natürlichste tun, nämlich ins Feuer zu starren und sein Züngeln beobachten. Möglich, dass er es trotzdem dann und wann tat. Denken wir an jene Bilder, die ganz und gar verbrannten oder zumindest unbrauchbar wurden, an den Schmerz, der daraus resultierte und an den Lernprozess, der darauf folgte.
In Girbls Bildern wird Natur nicht bloß abgebildet, sondern eingefangen und dem Material aufgeprägt, eingebrannt. Die Form schaffende Kraft des Feuers ist in verbrannten Farbtönen stets sichtbar. Im Zentrum steht jedoch das warme, gelbe Licht der Flammen selbst. Alles wirkt erleuchtet, strahlt aus. Selbst aus der Tiefe dringt noch Licht hervor, macht die Komposition transparent und beleuchtet sie gleichsam von hinten. Hinzu gesellen sich die Farben der Elemente sowie horizontal und vertikal gezogene Bögen und Linien. Letztere wirken gebürstet, geschabt, drehen und verwinden sich, treffen aufeinander, kreuzen einander an zentralen Stellen, lösen sich auf und verlieren sich, oft jenseits des Bildrandes. Manchmal kehren sie auch wieder zurück; rücken ans Feuer, um sich zu wärmen.
Prof. Dr. phil. Eugen Maria Schulak – Philosophische Praxis Wien
Thomas Girbl
burningpictures.art
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